Direkt zum Hauptbereich

aus aktuellem Anlass

Die Opfer müssen im Mittelpunkt stehen


Bistum Münster für härtere Strafen bei sexuellem
Missbrauch: 
Haltung und System müssen sich ändern



Münster (pbm/sk). „Nicht die Institution und ihre durch den Missbrauch schwer beschädigte Glaubwürdigkeit müssen im Mittelpunkt stehen, sondern ohne Wenn und Aber die Opfer.“ Das hat der Generalvikar des Bistums Münster, Dr. Norbert Köster am 25. September in Münster betont. Köster äußerte sich vor dem Hintergrund der am selben Tag in Fulda vorgestellten Ergebnisse der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“. In Münster fand aus diesem Anlass eine Pressekonferenz statt, bei der der Generalvikar und weitere Verantwortliche des Bistums darüber informierten, welche Kenntnisse es im Bistum Münster zum sexuellen Missbrauch gibt und wie diesem Thema begegnet wird.

Wenn die Opfer in den Mittelpunkt gestellt würden, dann habe das zwei Blickrichtungen, sagte Köster. Nach hinten hin müsse geschaut werden, dass die Täter, soweit das noch machbar sei, mit aller rechtlich möglichen Härte zur Rechenschaft gezogen würden: „Aufarbeitung ist immer auch ein Beitrag zur Prävention“, sagte er. Er ermutigte die Opfer sexuellen Missbrauchs, das zu berichten, was ihnen angetan worden sei, damit noch mehr Klärungen erfolgen könnten und verwies in diesem Zusammenhang auf das neu eingerichtete Beratungstelefon und eine Internetberatung für Opfer (Telefonnummer: 0800-0005640; Internet: www.hilfe-nach-missbrauch.de). Zugleich müsse die Kirche nach vorne Maßnahmen ergreifen, um möglichst zu verhindern, dass es weitere Opfer gibt. „Hier haben wir in den letzten Jahren schon viel gelernt und werden auch weiter Lernende bleiben“, betonte er. Die Studie mache zudem auch den Missbrauch von Macht deutlich, der häufig verbunden gewesen sei mit völlig unzureichenden Sanktionsmaßnahmen und dem Mechanismus, Beschuldigte einfach zu versetzen. Hier habe sich zwischenzeitlich vieles verändert. „Es gibt heute auch im Bistum Münster eine Linie der Nulltoleranz gegenüber dem Verbrechen des sexuellen Missbrauchs und auch gegenüber der Vertuschung“, unterstrich der Generalvikar.

Er wies in diesem Zusammenhang auf die nach seiner Einschätzung „unzureichenden Sanktionsmaß-nahmen“ sexuellen Missbrauchs hin und betonte: „Wir brauchen kirchlicher wie staatlicherseits härtere Strafen und brauchen ein Ende der Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch. Das wäre aus meiner Sicht ein zentrales Signal an die Opfer und Tätern wäre klar, dass sie mit ihren Verbrechen nicht davon kommen werden.“

Köster ging auf drei Zusammenhänge ein, die nach Einschätzung der Studie kirchenspezifisch sind: den Zölibat, Homosexualität und Klerikalismus. „Wir können gerade im Blick auf diese Zusammenhänge nur das tun, was im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt. Das werden wir aber entschieden tun“, sagte er und warb für einen „Wandel des Systems“. Im Blick auf den Zölibat machte der Generalvikar deutlich, dass dieser auch nach der Studie kein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch sei. „Wir sollten sehr vorsichtig sein mit der Bildung einfacher Kausalketten, wie das vielleicht verständlicherweise gerade bei manchen populär ist: Damit würden wir alle Priester, die zölibatär leben, unter einen Generalverdacht stellen.“ Gleichwohl machten die Forscher deutlich: Auch wenn die Verpflichtung zum Zölibat keine alleinige Erklärung für sexuelle Missbrauchshandlungen an Minderjährigen sein könne, so sei es doch wichtig, sich mit der Frage zu befassen, in welcher Weise der Zölibat für bestimmte Personengruppen in spezifischen Konstellationen ein möglicher Risikofaktor für sexuelle Missbrauchshandlungen sein könne. „Es sollte auf Ebene der Bischofskonferenz wirklich intensiv über die Frage des Zölibats für Priester diskutiert werden“, forderte Köster.

Auch im Blick auf das Thema Homosexualität betonte der Generalvikar, dass Homosexualität natürlich kein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch sei. Schon die Tatsache, dass die von sexuellem Missbrauch durch Kleriker Betroffenen überwiegend männlich seien, mache es, wie es auch die Forscher empfehlen würden, notwendig, die grundsätzlich ablehnende Haltung der katholischen Kirche zur Weihe homosexueller Männer zu überdenken. „In der Konsequenz müsste das heißen, dass wir seitens des kirchlichen Lehramts zu einer Neubewertung von Homosexualität kommen und dabei, was die Forscher uns empfehlen und was selbstverständlich sein sollte, die Erkenntnisse der modernen Sexualforschung und Wissenschaft berücksichtigen“, sagte Köster.

Hinsichtlich des Klerikalismus griff der Generalvikar die Definition der Studie auf, die diesen sieht als ein hierarchisch-autoritäres System, das auf Seiten des Priesters zu einer Haltung führen könne, nicht geweihte Personen zu dominieren, weil man glaube, als Priester qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position inne zu haben. „Sexueller Missbrauch ist ein extremer und besonders widerwärtiger Auswuchs dieser Dominanz“, betonte der Generalvikar. Klerikalismus finde sich allerdings keineswegs nur bei Priestern, sondern bis heute auch bei Gläubigen, die stark auf Priester fixiert seien. Klerikalismus könne mit dazu beitragen, dass sexueller Missbrauch vertuscht werde, warnte der Generalvikar und fuhr fort: „ Um das zu ändern, müssen und können wir vor allem da ansetzen, wo es die gerade genannte Definition der Studie nahelegt: an der Haltung.“ Da, wo Priester sich nicht übergeordnet fühlten und das die übrigen Gläubigen auch erfahren ließen, da, wo weder die Priester sich selbst noch die Gläubigen die Priester überhöhten, entstehe ein Miteinander auf Augenhöhe, entstünden Dialog und Offenheit. „Und in diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, dass Frauen an entscheidenden Stellen in unserer Kirche das Sagen haben und Bischöfe, Priester und insgesamt die Männer Macht und Einfluss abgeben“, sagte Köster. Wo es eine solche Haltung und gleichberechtigtere Machtstrukturen gebe, sei das System weniger geschlossen: „Dann fühlen sich potenzielle Täter weniger vom System angezogen, dann wird weniger im System vertuscht und die scheinbaren Interessen des Systems werden nicht über das Wohl und die Würde von Kindern und Jugendlichen gestellt.“

Köster dankte den Opfern, die berichteten, was ihnen angetan worden sei sowie allen, die im Bistum Münster im Kampf gegen sexuellen Missbrauch besonders engagiert seien und ging auf die Zahlen ein, die die Studie für das Bistum Münster ergeben habe.

Untersucht wurden im Bistum alle Personalakten von Priestern, hauptamtlichen Diakonen und Ordensgeistlichen mit Gestellungsvertrag, die zwischen Anfang 2000 und Ende 2015 im Bistum Münster eine Funktion ausübten oder sich im Ruhestand befanden. Zusätzlich wurde auch das Geheimarchiv des Bistums hinsichtlich von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker für den Zeitraum zwischen 1946 und Ende 2015 ausgewertet. Das Bistum, so sagte Köster, habe mit diesen Aufgaben die axis Beratungsgruppe in Köln beauftragt, um „die Unabhängigkeit der Ergebnisse sicher zu stellen“. Hierzu sagte Johannes Glößner von axis: „Die Mitarbeiter von axis hatten jederzeit freien Zugang zu den relevanten Akten in den Personalarchiven. Die von uns ausgefüllten Erhebungsbögen wurden vom Bistum Münster in keiner Weise überprüft, korrigiert oder in Frage gestellt. Von daher wurde die Auswertung der Akten seitens axis in vollständiger Unabhängigkeit vom Auftraggeber durchgeführt.“

Insgesamt wurden 1708 Akten geprüft. Bei 138 Klerikern fanden sich Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Aus den ausgewerteten Akten lassen sich 450 Betroffene identifizieren. Bei 4,7 Prozent der Kleriker, deren Akten für den Zeitraum zwischen 2000 und 2015 ausgewertet wurden, finden sich Beschuldigungen. Seit 2011 sind in 158 Fällen Zahlungen erfolgt zur Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde. Die Gesamtsumme dieser Zahlungen beläuft sich auf 937.800 Euro. Hinzukommen Übernahmen von Therapiekosten in Höhe von 186.807 Euro und soziale Unterstützungen von 106.952 Euro.

Bernadette Böcker-Kock, die im Bistum Münster zusammen mit Bardo Schaffner Ansprechperson für Verfahren bei Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester, Ordensleute oder andere kirchliche Mitarbeiter ist, machte deutlich, dass es von wesentlicher Bedeutung sei, „dass wir in keinerlei dienstlicher Verbindung mit dem Bistum stehen und deshalb als ‚Außenstehende‘ fungieren.“ Aus den Telefonaten, die sie führe, sei zu entnehmen, „dass diese Unabhängigkeit, also die fehlende Weisungsgebundenheit, für die Melder eine wesentliche Bedeutung hat und eine Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens schafft.“ Die Betroffenen gingen bei dieser Konstellation eher davon aus, dass die Meldungen offen bearbeitet würden und ihren Meldungen nachgegangen und mehr Nachdruck verliehen werde. So gehe es in den oft sehr langen Gesprächen auch zunächst darum, eine vertrauensvolle Basis zu schaffen und zuzuhören. „Die Unabhängigkeit verschafft für die Melder/Betroffenen Vertrauen und verringert die Hemmschwelle bezüglich des Erstanrufs sowie weiteren Fragen nach dem Gang des Verfahrens und des Verfahrensstandes“, sagte sie. In diesem Jahr hätten sich bereits 14 Betroffene an sie und Bardo Schaffner gewandt und 14 Personen beschuldigt.

Ist es die Aufgabe von Bernadette Böcker-Kock zu klären, ob es tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht eines sexuellen Missbrauchs gibt, richtet sich der Blick von Beate Meintrup, einer von zwei Präventionsbeauftragten des Bistums, eher darauf, sexuellen Missbrauch in Zukunft möglichst zu verhindern. Meintrup sagte, dass seit 2011 im Bistum Münster rund 50.000 haupt- und ehrenamtliche Mit-arbeitende geschult worden seien, die im weitesten Sinn in Kontakt mit Kindern, Jugendlichen oder schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen stünden. Zu 100 Prozent seien die in der Seelsorge Tätigen, die Lehrerinnen und Lehrer an bischöflichen Schulen und die in Kitas und in der Jugendhilfe Tätigen geschult worden. Zudem seien seit 2011 etwa 280 Referentinnen und Referenten für Schulungen zur Prävention ausgebildet worden. Seit 2016 seien zudem 90 Präventionsfachkräfte ausgebildet worden, die die Träger bei der Umsetzung der Präventionsmaßnahmen unterstützen. Auch seien Einrichtungen, Verbände und Pfarreien aufgefordert, mit der Erarbeitung eines Institutionellen Schutzkonzeptes einen Organisationsentwicklungsprozess zum Kinder – und Jugendschutz durchzuführen. Rund 70 Prozent der Träger im Bistum Münster befänden sich bereits in diesem Prozess.

Meintrup ging auch auf die Leitlinien der Präventionsarbeit ein. Sie betonte, dass für den Schutz von Kindern und Jugendlichen die Erwachsenen zuständig seien. „Diese müssen informiert, sensibilisiert und sprachfähig zum Tabuthema sexualisierte Gewalt gemacht werden“, betonte sie. Ergänzt würde dieses Angebot durch Maßnahmen, die auf die Stärkung von Kindern und Jugendlichen zielten. Wichtig sei, dass die Präventionsmaßnahmen nicht nur auf den Einzelnen zielten, sondern vielmehr versuchten, die Organisation als Ganzes, ihre förderlichen wie hinderlichen Strukturen, in den Blick zu nehmen. Ergänzt würden die Präventionsmaßnahmen zudem in pädagogischen Einrichtungen dadurch, dass der Umgang mit sexualitätsbezogenen Themen einen festen Platz erhalten müsse.

Weitere Informationen gibt es auf www.bistum-muenster.de/sexueller-missbrauch